Trauer. (Fragment 2004)

Ich liebe dich. Erinnerst du dich noch an die letzte gemeinsame Nacht? Ich weiss, ist nun doch schon einige Wochen her. Wir lagen auf deinem Bett. Du hattest dein Lieblingsshirt an, das mit dem Mädchen und den Luftballons. Ich trug meine ausgebleichten Jeans und ein schwarzes Shirt. Dir gefiel es nicht, du sagtest aber nichts. Du hättest lieber gehabt, wenn ich etwas romantischeres angehabt hätte. Du hast mich in den Arm genommen und mir einen langen, sinnlichen Kuss auf die Lippen gedrückt. Hast meinen Nacken gestreichelt und mir ins Ohr geflüstert, dass du mich lieben und niemals verlassen würdest. Ich hab dir in deine wunderschönen Augen geschaut und dein Gesicht berührt. Damals hatte ich dir geglaubt. Deine Haut war weich wie die eines Kindes. Es war die letzte Nacht, die ich bei dir verbringen durfte; die wir beide zusammen verbringen durften.

Du hast dir einen passenden Tag ausgesucht: es regnet. Und nicht erst seit heute. Nein. Es hat schon vor ein paar Tagen angefangen. Die Menschen verschwinden in Regenjacken oder unter Regenschirmen. Die Eile geht weiter, lässt sich auch nicht durch Regen aufhalten. Ich stehe an deinem Grab. Der Pfarrer spricht einige trostspendende Worte. Worte, die an mir abprallen wie Regentropfen an meiner Plastikjacke. Tränen kullern über meine Wangen. Ich sehe das frisch geschaufelte Grab, deinen Grabstein und sehe dich. Überall und doch nirgends. Du bist da und doch nicht. Kann nicht mehr klar denken. Die Augen geschlossen, sehe ich dich vor mir. Du rennst. Rennst um dein Leben und doch wirst du immer langsamer dabei.

Der Pfarrer spricht weiter. Redet nun von deinem Eintritt ins Paradies. Dass Gott dich zu sich geholt hat. An seine Seite. Ich schaue ihn erstarrt an. Du hast dein Leben geliebt, hättest es nie leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Für deine Familie mögen diese Worte tröstend sein. Mich machen sie wütend. Wütend auf diejenigen, die dich dazu getrieben haben. Ich kanns nicht verstehen…

Den Weg, den du eingeschlagen hast, bist du ohne mich gegangen. Hast mich nicht eingeweiht, hast mir nichts erklärt. Ich musste es akzeptieren und wenn ich dich hätte aufhalten wollen; ich hätte dich ganz verloren. Es beschäftigte dich schon lange. Überschattete unsere Beziehung wie die dunklen Wolken am Horizont. Irgendwann werde ich erfahren, was mit dir los war. Warum du es getan hast.

Langsam entferne ich mich vom Geschehen. Mein Geist befindet sich nicht mehr in meinem Körper. Ich müsste aufwachen. Ich müsste laut schreien. Ich kann es nicht. Ich wandere durch die nasse Landschaft. Auf der Suche nach der Antwort, auf der Suche nach dir. Mein Herz weint mehr als es meine Augen zulassen. Du fehlst mir so. Ich suche, suche nach der Wahrheit… Alles, was ich finde, ist dein Grabstein. Regen tropft hinunter, in kleinen Bächen gen Ausgang. Es wird nicht mehr lange regnen. Es kann ja nicht immer regnen…

Wut

In meinem letzten Artikel ging es um das Thema «Rassismus». Ein Thema, das mich seit ich denken kann begleitet hat. Wenn auch eher unfreiwillig wurde ich schon im Vorschulalter darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht gleich wie die anderen war. Das ich anders sei.

Natürlich sieht man mir meine Herkunft unweigerlich an, obwohl man mich auch schon nach Brasilien, in die Mongolei (immerhin geographisch etwas näher), nach Afrika oder Arabien verpflanzt hat. Aber nein, ich stamme aus Indien und das sieht man mir an. Und da meine Eltern weiss sind, waren Sticheleien vorprogrammiert. So musste ich mich mit dem Thema beschäftigen.

Von meinen Eltern bekam ich früh den Ratschlag mit, über solchen Ärgernissen zu stehen. Solche Menschen würden früher oder später erwachsen, meinten sie und, wenn ich ihre Attacken ignorieren würden, würden sie bald einmal den Spass verlieren. Nur, wie das so mit elterlichen Ratschlägen ist: Diejenigen, die es betrifft, haben diese offenbar nie gehört…

Natürlich: Ich habe nie das gleiche Schicksal erlebt wie die farbige Bevölkerung Anfang der 1900er-Jahre in Amerika. Ich weiss nicht, wie das ist, wenn man nur getrennte Bürgersteige benutzen darf. Ich weiss nicht, wie das ist, wenn man in Restaurants an separaten Tischen sitzen muss. Und ich weiss auch nicht, wie das ist, wenn man Angst haben muss, weil in meiner Nachbarschaft die Häuser brennen. Das alles weiss ich nicht.

Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, wenn man nur geduldet und nicht akzeptiert wird. Wenn man immer wieder hört, dass man nur auf dem «Papier» Schweizer sei. Und ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn wildfremde Menschen einem in gebrochenem Deutsch etwas erklären wollen, auch wenn sie ansonsten perfektes «Walliserdeutsch» sprechen.

In meiner Jugend gab es einige einschneidende Erlebnisse, die mein Verhalten gegenüber meinen Mitmenschen nachhaltig geprägt haben. In den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es zur Weihnachtszeit immer ein spezielles Radio, welches nur zu dieser Zeit spielte. Es war sehr beliebt und ein allabendliches Wunschkonzert war ein Highlight, weil man anrufen und Leute grüssen konnte. Eines Tages rief ein Einwohner meines Wohnortes an und fragte die Moderatoren, was das auffälligste an der örtlichen Schule sei (das Radiostudio war zu dieser Zeit in einer Lokalität neben der Orientierungsschule). Die Moderatoren antworteten nichtsahnend, dass es wohl das Schild zum Radiostudio wäre. Der Anrufer verneinte. Es wäre Abhijit. Warum? Weil er schwarz ist. Sofort wurde der Anruf unterbrochen und die Moderatoren entschuldigten sich.

Die Sendung wurde damals bis ins Unterwallis hinein empfangen und ich erhielt entsprechendes Feedback auch noch Wochen nach der Ausstrahlung.

Gewiss, es mag nun der Eindruck entstehen, dass alle Menschen in diesem Ort und in diesem Kanton (Bundesland) hoffnungslose Rassisten sind. Wenn der so entstanden ist, dann ist das natürlich falsch. Allerdings sind einige rassistische Tendenzen durchaus zu beobachten. Der übliche Spruch lautet: «Ich bin kein Rassist, aber…»

Und genau das macht mich wütend. Es macht mich wütend, dass Menschen in der heutigen Zeit immer noch denken, sie könnten rassistische Vorurteile als Meinung tarnen. Es macht mich wütend zu sehen, dass es gewisse Parteien am rechten Rand gibt, die Hetze gegen Minderheiten betreiben. Es macht mich wütend, dass Menschen die nicht «weiss» sind als minderwertig betrachtet werden.

Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass sich etwas diesbezüglich ändern wird. Denn manchmal glaube ich, dass die Menschen gar nicht aus der Geschichte lernen wollen. Leider.

Hass

Am vergangenen Dienstag, dem 06. November 2012, wurde in den USA ein neuer Präsident gewählt. Wie sich am Mittwochmorgen dann herausstellte war der «neue» Präsident der «Alte». Barack Obama. Der erste afroamerikanische Präsident der USA.

Eigentlich wollte ich die Wahlen auf «CNN» live mitverfolgen. Eigentlich. Denn, wie es der Zufall wollte, stiess ich beim Zappen auf eine interessante Dokumentation über den amerikanischen Sänger und Menschenrechtsaktivisten Harry Belafonte: «Sing Your Song».

Eine berührende, sehr intime Dokumentation über den heute 85jährigen Schauspieler, der manchmal auch singt und seinen ewig dauernden Kampf für eine bessere Welt. Die «zeit.de» schrieb über den Film:

Sing your song ist ein Stück weit Selbstdefinition und Lebensbetrachtung Belafontes, den es nach eigenen Angaben immer wieder dahin zieht, "wo die Menschen um Gerechtigkeit kämpfen". Aber er ist auch ein glaubwürdiges und authentisches Plädoyer für gegenseitiges Verständnis und mehr Menschlichkeit in der Welt. (Quelle: www.zeit.de)

Die Dokumentation zog mich in ihren Bann und ich vergass die Präsidentenwahl vollends.

Am anderen Tag habe ich mich in das Leben von Harry Belafonte eingelesen und fand ein 99-Fragen-Interview, ebenfalls auf «zeit.de», in dem ich folgende Frage faszinierend fand:

Haben Schwarze besseren Sex als Weiße?
Da ich niemals Sex in Gestalt eines weißen Mannes hatte, kann ich diese Frage schwerlich beurteilen. Aber, lassen Sie mich bei Ihrer Frage, die Sie in einer frivolen und saloppen Art und Weise formulieren, doch noch einen Moment lang bleiben und sie ernst nehmen. Wenn Sie fragen, ob es beim schwarzen Mann ein Gefühl der sexuellen Überlegenheit und, wichtiger, beim weißen Mann ein Gefühl der sexuellen Unterlegenheit gibt, dann antworte ich: Dieser Punkt ist der alles entscheidende für die Analyse der fortdauernden Präsenz von Rassismus auf der ganzen Welt. Nicht nur in der Hinsicht, in der Sigmund Freud Sexualität als Triebfeder aller menschlichen Energien und Ängste gedeutet hat; sondern im konkreten sozialen Sinn. Die große Angst des weißen Mannes liegt in seiner sexuellen Unterlegenheit gegenüber dem schwarzen Mann. Diese Angst scheint unausrottbar. Sie besteht in der Annahme, dass der schwarze Mann die weiße Frau verführen oder vergewaltigen möchte, und sie liefert, in der Folge, die Begründung und Triebfeder dafür, dass der schwarze Mann kastriert und gelyncht werden darf und muss. Wie war es früher? Du durftest eine weiße Frau nicht einmal angucken, ohne gelyncht zu werden. (Quelle: www.zeit.de)

Wer sich über Harry Belafonte informiert, stolpert zweifelsohne auch über eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte Amerikas: Diskriminierung von Farbigen und «Rassenunruhen». Die Antwort, die Belafonte auf diese Frage gibt, mag auf den ersten Blick unverständlich erscheinen, wenn man sich aber mit der damaligen Zeit beschäftigt, insbesondere mit dem berühmt-berüchtigten «Ku-Klux-Klan», dann wird schlagartig bewusst, dass die Menschen früher tatsächlich so dachten. Und auch heutzutage ist das Klischee noch weitverbreitet, dass «Schwarze» übermenschlich grosse Genitalien hätten und jede (vorwiegend «weisse») Frau damit förmlich aufspiessen könnten. Die Porno-Industrie lässt dieses Vorurteil immer noch aufleben…

Ich werde nie verstehen wie man Menschen nach ihrem Äusseren beurteilen und klassifizieren kann. In «Reinrassige» oder «Mischlinge» oder gar «Bastarde». Und ich werde nie verstehen, wie man vom Äusseren eines Menschen bestimmte (Menschen-)Rechte ableiten kann bzw. diese vorenthalten kann. Im Übrigen kann ich auch diejenigen nicht verstehen, die ständig davon reden, dass die «Weissen» privilegiert sind. Rassismus wird nicht automatisch zur Gesellschaftskritik, wenn er sich gegen eine Mehrheit richtet…

Jeder Mensch ist gleich, egal welcher Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht, Religion, politischer Einstellung er angehört. Ich weiss, dies mag für einige Zeitgenossen schwierig zu verkraften sein, vor allem dann, wenn sie denken, sie wären erhabener.

Es macht mich wütend zu sehen, dass es immer noch Rassismus gibt. Es macht mich wütend zu sehen, dass man dagegen nicht vorgehen kann. Denn – und das ist die Krux einer Demokratie – man muss auch solche «Meinungen» aushalten können.

Die Ironie wollte es, dass an diesem Wahlabend wieder ein «Farbiger» zum Präsidenten gewählt wurde trotz des latent vorhandenen Rassismus in der Gesellschaft. Denn, wie sonst könnte man sich wohl den folgenden «Tweet» eines «Romney»-Kampagnenleiters (http://www.mediaite.com/online/author-of-romney-campaign-blog-post-warns-white-women-against-voting-for-obama/) erklären:

Ich habe in meinem Leben viel erlebt. Zuviel. Ich habe erlebt wie es ist, wenn man nur nach dem Äusseren beurteilt wird. Wenn man sich jeden Tag erneut beweisen muss. Wenn man jeden Tag zeigen muss, dass man auch als «Farbiger» eine Daseinsberechtigung hat. Ich bin wütend. Aber ich hasse nicht. Nicht mehr. Ich kann nicht mehr.